19.02.2015 acht wochen ist das jahr bereits alt und erst jetzt komme ich zum ersten blogeintrag. dafuer verantwortlich ist weiterhin die veraenderte einteilung meiner produktivzeit, die mir fuer zerstreuungen, wie dem blogschreiben nur wenig luft laesst. doch will ich nicht lamentieren, sondern lieber zusammentragen, was das junge jahr aus meiner sicht bisher alles so an kulturellen highlights zu bieten hatte.

musikalisch startete ich mit der mir selbst zu weihachten geschenkten gesamtwerk-box von william onyeabor ins jahr. um den mann und seine wenig stichhaltige biografie hat sein label luaka bop ja inzwischen einen maechtigen marketingrummel veranstaltet, so dass ich anfangs von der tatsaechlichen musik gar nicht so sehr beeindruckt war und beim betrachten der youtube-doku zu william onyeabor schon fast an einen hoax glaubte. doch dann packte auch mich die supercoole mischung aus seventies-funk, afro-klaengen und kuriosen synthie-sounds und huepfte ich zu 'fantastic man' mit einer ausgelassenen kindermeute durchs zimmer.

das erste grosse 2015er album war dann - fuer mich bisher komplett unbekannt - olli schulz mit 'feelings aus der asche'. vielleicht ist es mein glueck, dass ich schulz nicht als tv-scherzkeks kannte, denn so konnte ich seine platte als ein toll getexteten und musikalisch traumwandlerisch umgesetzten deutschen rock mit indie-sympathien geniessen. zudem unterstrich 'feelings aus der asche' mit anklaengen an manchester-band wie elbow und i am kloot einmal mehr, dass hamburg - wo olli schulz hoerbar herkommt - deutschlands tor (bzw. hafen) zur insel ist.

auf einen richtiggehenden instant-klassiker, der mir sonst fast durch die lappen gegangen waere, wurde ich durch die guten dienste der nzz am sonntag aufmerksam: mein new yorker lieblings-singer/songwriter willie nile hat mit 'if i was a river' sein erstes piano-album aufgenommen. grosse melodien treffen sich darauf mit grossen worten und ebensogrossen gefuehlen - pure rocknroll-poesie.

weiter ging es mit benjamin clementine, dessen mischung aus piano-songs, theatralischem soul und klassik-einsprengseln ich bisher ja mehr interessant als toll fand. auf albumlaenge kommt das ganze aber super rueber und so ist 'at least for now' ein hochklassiges debut, das den sound meiner lieblingsmetropolen paris und london kongenial in sich traegt. gut gefielen mir auch mark ronson's eighties-pop-funk-suite 'uptown special' sowie das traditionelle, aber schoen wortmaechtige waterboys-album 'modern blues'. ausserdem lieferten dengue fever mit 'the deepest lake' eine gelungene weiterentwicklung ihres kamdoschanischen retro-rocknroll ab.

und dann war es auch schon zeit fuer das neue bob dylan album 'shadows in the night'. ob der 74-jaehrige dylan mit seiner kaputten stimme wirklich der richtige fuer eine jazzstandards-platte ist, machte mich schon etwas skeptisch. doch siehe da, der mann gibt sich richtig muehe und schmiedet aus sixties-naeseln, seventies-crooning und nullerjahre-heiserkeit eine beruehrende 'neue' stimme, die zusammen mit den leise-atmosphaerischen bandarrangements 'shadows in the nights' zu einem wehmuetig-zaertlichen favoriten fuer die blaue stunde macht.

weniger lauschig, aber auch sehr gut ist 'let it reign', das neue album von carl barat. der libertines-mann folgt dabei dem vorbild der kaiser chiefs vom letzten jahr, mit haerteren gitarren neuen drive zu entwickeln. da barat beim songwriting weiterhin auf hochkompetente partner setzt und auch bei der darbietung mit ganzem herz dabei ist, ist ein makelloses rockalbum herausgekommen, das den einstieg in ein super-libertines-jahr darstellen koennte: pete doherty hat mit dem stimmungsvollen amy-winehouse-tribute 'flags of the old regime' bereits einen vorgeschmack auf ein neues soloalbum veroffentlicht und dann soll ja auch noch die dritte libs-lp in diesem jahr erscheinen...

weitere tolle aktuelle platten runden den guten jahreseinstieg ab: rhiannon giddens muenzt auf 'tomorrow is my turn' das bei den carolina chocolate drops und new basement tapes aufgenommene momentum in ein hochklassiges und wirklich schoenes americana-roots-album um. das zwillingsschwestern-duo ibeyi findet auf ihrem debut eine spannende mitte zwischen kuba (die roots), paris (da leben sie und schnuppern den vibe) und london (wo das album von richard russel produziert wurde, der damit seine mit alben fuer gil scott-heron, bobby womack und damon albarn begonnene reihe fortsetzt). 'italiens amy winehouse' nina zilli kehrt auf album nummer drei 'frasi&fumo' wieder mehr in die retro-ecke zurueck, bewahrt aber das mit dem zweiten, moderneren album gewonnene selbstbewusstsein.

daneben hat mich der 70. geburtstag von bob marley auf einige diskografische erkundungen geschickt: neben dem unter dem namen 'uprising live' ende letzten jahres veroeffentlichten rockpalast-konzerts von 1980 (hatte ich lange jahre als vhs-mitschnitt) sind das auch das neue, sehr gut klingende und gespielte live-album 'easy skanking in boston 78' sowie die sehr solide bob-marley-biografie von chris salewicz. ich glaube, dieses thema wird mich dieses jahr noch laenger beschaeftigen...

das konzertjahr eroeffnete sehr frueh mit dem auftritt von molden/resetarits/soyka/wirth. ein schoenes konzert, das allerdings recht wenig willi und noch weniger kurt enthielt, so dass ich den molden-auftritt vom letzten sommer fast etwas besser fand. aber ganz klar ist der ernst einer der ganz guten, von dem auch in diesem jahr noch viel zu erwarten ist.

literarisch machte ich mich quasi 'post-charlie' an michel houellebecq's neues werk 'unterwerfung'. mir war es ein bisschen arg thesenroman und zwischendurch gibt es ganz schoen viel ungefiltertes rechtes denken zu hoeren. doch als ganzes kann man das buch wirklich nicht als islamfeindlich bezeichnen, schon eher als kritisch gegenueber einem geistig-politisch erlahmenden westen. kuehn ist houellebecqs szenario vom islam als neuer sinnstiftung fuer den alten kontinent auf jeden fall und bei der beschreibung dekadenter maennlicher protagonisten macht dem franzosen weiterhin keiner etwas vor. 'unterwerfung' laesst den leser nachdenken, ohne ihm endgueltige schluesse nahezulegen und ist damit eine faszinierend ambivalente lektuere.