das wort zum 3. oktober

vor vier jahren machte es mir noch spass, vor der bundestagswahl meine sicht der politischen dinge darzulegen. dieses mal sah es dagegen anders aus: begeisternde politische optionen waren nicht in sicht und zu sagen gab es dazu auch nicht viel. doch das eine oder andere, was seit der bundestagswahl zu hoeren war, laedt nun aber doch zu sehr zum wiederspruch ein.

symptomatisch dafuer ist der in der heutigen zuercher zeitung erschienene leitartikel 'deutschland muesste nicht so flach sein'. der autor vertritt darin die ansicht, deutschland leide unter einer ueberlast an sozialem ausgleich und wirtschaftlichen transferleistungen. das ergebnis der bundestagswahl - und hier besonders der fdp-stimmanteil von fast 15 prozent - machten dagegen deutlich, dass sich eine mehrheit der deutschen richtigerweise mehr wettbewerb, mehr markt und mehr foederalismus wuenschten. fuer die waehler der fdp mag das noch zutreffen, doch sowohl die diagnose wie auch die fuer das land angeratene heilungskur halte ich fuer falsch.

warum? die beste illustration dafuer lieferte diese tage bundesbank-vorstand thilo sarrazin: der zeitschrift 'lettre international' sagte dieser, dass 'etwa 20 prozent der berliner bevoelkerung oekonomisch nicht gebraucht werden'. dazu zaehlten leute, die vom staat lebten, den staat ablehnten, sich nicht um die ausbildung ihrer kinder kuemmerten und stattdessen dafuer sorgten, 'dass vierzig prozent aller geburten in der unterschicht stattfinden'.

abgesehen von sarrazins abstossender diktion sind dessen aussagen fuer die deutsche realitaet recht bezeichnend. so ist ja auch die krise der spd unter anderem darin begruendet, dass sich dass heutige 'proletariat' nicht fuer veraenderung und fortentwicklung interessiert, sondern sich mit 'panem et circenses' in form von sozialleistungen, protzigen autos und bei aldi/lidl bezogenen konsumguetern zufrieden gibt. doch ist dieser sachverhalt weniger anstoessig als die tatsache, dass ein grossteil der politisch-wirtschaftlichen elite die ausgrenzung ganzer bevoelkerungsgruppen mittlerweile ohne schlechtes gewissen akzeptiert: kinder von armen bleiben selbst arm, bildungsdefizite werden ueber generationen weitergegeben, migranten sind sozial ghettoisiert und selbst wenn es um akademiker geht, bleibt chancenlos, wer nicht zur kategorie der jungdynamischen juristen bzw. oekonomen gehoert.

die von der zuercher zeitung bemaengelten sozialen ausgleichsleistungen abzuschaffen waere daher fatal: denn diese transfers sorgen fuer das stillhalten der verlierer in einem zunehmend rigiden system. laender, die auf mehr wettbewerb und eigenverantwortung setzen, bieten ihren buergern dafuer auch mehr chancen. und darum muesste sich deutsche politik vordringlich kuemmern: barrieren einzureissen, ausgrenzung zu beenden und neue entwicklungspotenziale zu schaffen. billig waere das sicherlich nicht, aber trotz krise ist ja genug geld vorhanden. waehrend dieses heute noch unter der ausschliesslichen fixierung auf wachstum und profit den eliten zufliesst, waere eine rueckbesinnung auf die soziale funktion des wirtschaftslebens noetig.