guenter grass - unterwegs von deutschland nach deutschland


nachdem ich in den vergangenen zwei wochen zweimal in berlin war und - nicht nur dort - das zwanzigjaehrige jubilaeum des wendejahres 1989 immer praesenter wird, schienen mir guenter grass' tagebuchaufzeichnungen des jahres 1990 eine passende reiselektuere. und tatsaechlich entpuppte sich das buch als positive uberraschung (ich stehe sonst beharrlich zu meiner lektuereluecke grass). natuerlich bestaetigt auch 'unterwegs von deutschland nach deutschland' das bild von grass als einem recht selbstverliebten grossschriftsteller. doch viel wichtiger als das enthaelt das buch eine reihe von treffenden politischen einschaetzungen zur deutschen wiedervereinigung, die 1990 erstaunlich weitsichtig waren und auch heute noch ihre gueltigkeit besitzen. der ueberhastete beitritt der ddr zur bundesrepublik ist fuer grass der suendenfall einer neokolonialen neuen deutschen identitaet. der verlierer von 1918 und 1945 wird im zeichen wirtschaftlicher staerke doch noch zum sieger - allerdings auf kosten einer politisch, wirtschaftlich und sozial auf lange zeit marginalisierten ostdeutschen bevoelkerung. solche ansichten waren 1990 nicht populaer und werden erst recht im jahr 20 nach dem mauerfall wohl noch oft als unverbesserliches genoergel abgetan, doch hat grass recht: strukturschwacher osten, antidemokratische vorbehalte und westliche ueberheblichkeit sind nicht vernachlaessigbare nebeneffekte einer an sich gelungenen einheit, sondern vielmehr symptome fuer einen grundsaetzlich falschen politikansatz. so wie die derzeitige finanzkrise nicht das produkt des fehlverhaltens einiger weniger banker ist, sondern ausdruck eines ausschliesslich shareholder-orientierten und viel zu kurzsichtigen wirtschaftssystems. punkt.