roberto bolano - 2666

ich bin ein fan von listen, lese gerne jahresrueckblicke und lasse mich auch von zusammenstellungen wie 'das duerfen sie im kommenden jahr auf keinen fall verpassen' beeinflussen. so kam ich bereits ende letzten jahres auf den namen bolano, als '2666', das posthum veroeffentlichte opus magnum des gebuertigen chilenen, von nahezu allen englischsprachigen zeitungen zum leseereignis des jahres 2009 erklaert wurde. bereits als teenager hatte ich gerne lateinamerikanische autoren gelesen - garcia marquez, guimaraes rosa, amado - doch der aus dem spanischen exil schreibende bolano schien eine ganz andere, zeitgemaessere form von suedamerikanischer literatur zu versprechen. somit war mein interesse geweckt, als '2666' schliesslich anfang september auch auf deutsch erschien. allerdings war ich noch etwas skeptisch: ein 1100-seiten roman, der ueberall als meisterwerk, aber auch als 'schwierig' bezeichnet wird? schliesslich wagte ich den sprung ins untiefe und kann beides bestaetigen: '2666' ist keine leichte lektuere, erfordert vom leser einige muehe und muss den autor ungeheure anstrengungen gekostet haben. formal besteht das buch aus fuenf zusammen gehoerenden romanen, deren verbindende themen der mythenumrankte deutsche nachkriegs-schriftsteller benno von archimboldi sowie eine nicht abreissende serie von frauenmorden in der fiktiven mexikanischen grenzstadt santa teresa sind. im ersten teil macht sich eine gruppe junger, nach archimboldi versessener literatur-professoren auf die suche nach dem verschollenen schriftsteller und landet dabei schlussendlich in santa teresa. teil zwei handelt von dem uni-mitarbeiter amalfitano, der zusammen mit seiner tochter rosa in der mexikanischen boomstadt lebt. im dritten buch kommt der afroamerikanische reporter oscar fate nach santa teresa, lernt amalfitanos tochter rosa kennen und rettet diese davor, opfer der mordserie zu werden. buch vier, der 'teil von den verbrechen', erzaehlt detailliert von den hundertfachen frauenmorden und berichtet von der suche nach den hintermaennern. der fuenfte teil verfolgt schliesslich archimboldis lebensgeschichte, die ueber das dritte reich und die schriftsteller-karriere im nachkriegsdeutschland bis nach mexiko fuehrt. '2666' erweist sich dabei als paradebeispiel eines postmodernen romans: zwar verfuegt das buch ueber eine verstaendliche handlung mit linearem spannungsbogen, doch wird keine aufklaerung des zu grunde liegenden kriminalfalls geliefert und geht es auch nicht darum. vielmehr sind die morde das gravitationszentrum des buchs, ein bewusstes element der verunsicherung des lesers und ein symbol des destruktiven in der welt. weniger als ein klassischer roman ist '2666' eine meditation ueber das unbekannte, unbewusste und vielleicht auch un-existente, dessen titel in eine leere, traurige zukunft deutet. nach 1100 seiten und rund einem monat lektuere bin ich froh, dieses buch gelesen zu haben, denn es bietet nicht nur ein glaenzend geschriebenes omni-panorama der modernen welt, sondern auch eine faszinierende reflektion der uns alle betreffenden konfrontation mit dem unbegreiflichen.