jamaika ist ein phaenomen: die insel ist gerade einmal so gross wie niederbayern, bot aber vor allem in den 70er jahren ein schier unerschoepfliches reservoir fuer grossartige musik. wenn man wie ich seit rund zwei jahrzehnten reggae-fan ist, beschleicht einen aber dennoch irgendwann das gefuehl, dass man mit dem wichtigsten durch ist und es wohl kaum mehr platz fuer grossartige neue entdeckungen gibt. aber jamaika ueberrascht einen immer wieder. und so stiess ich nun vor einigen wochen (zugegebenermassen aufgrund einer massiven luecke, mea culpa) auf joe higgs, einen giganten der reggae-musik - trotz vergleichsweise schmaler diskographie.



bemerkenswert an joe higgs ist zum einen, ueber wie viele aufeinanderfolgende entwicklungsstadien jamaikanischer musik hinweg er es schaffte, relevant zu bleiben. als bestandteil des duos higgs & wilson veroeffentlichte er 1960 mit 'manny, oh' den ersten auf der insel produzierten und aufgenommenen hit, ein grossartig rumpelndes boogie-stueck. ueber schmachtende doowop-balladen fanden higgs & wilson in den folgenden zehn jahren den weg zum fruehen ska. als solo-kuenstler debuetierte joe higgs mit dem 1972 aufgenommenen, aber erst 1975 veroeffentlichten fruehen reggae-album 'life of contradiction'. im goldenen reggae-zeitalter folge 1979 'unity is power', bevor higgs anfang der 80er jahre in die usa emigrierte. mit dem album 'triumph' veroeffentlichte er 1985 ein in jamaika aufgenommenes perfektes stueck eighties-reggae, dem 1988 die in den usa produzierte pop-crossover platte 'family' folgte. 1990 brachte joe higgs mit mitgliedern der wailers-band unter dem titel 'blackman know yourself' neuaufnahmen seiner bekanntesten titel heraus. 1995 folgte higgs letzte ep-veroeffentlichung 'roots combination', eine zusammen mit seiner tochter marcia herausgebrachte annaeherung an moderne reggae- und rap-sounds. parallel zu diesen alben veroeffentlichte joe higgs vor allem in den siebziger jahren noch eine ganze reihe exzellenter singles fuer die jeweils angesagtesten und wichtigsten jamaikanischen produzenten.



nicht nur die faehigkeit, am puls der zeit zu bleiben, zeichnet das werk von joe higgs aus, sondern auch sein - nicht nur fuer reggae-verhaeltnisse - ausgesprochen breiter musikalischer horizont. einige seiner songs weisen akkordfolgen auf, die eher jazzigen gefilden zuzuordnen sind, dazu kommt ein fruehes interesse fuer afrikanische klaenge und eine affinitaet zu den croonern der fuenfziger jahre. auch joe higgs stimme erinnert an verschiedene referenzgroessen: an den souligen reggae eines toots hibbert, an den kraeftigen bariton eines peter tosh, aber auch an die gospelige intensitaet des (leider vor einigen tagen verstorbenen) richie havens. mit seinem riesigen musikalischen talent schuf higgs nicht nur unter eigenem namen grossartige platten. als mentor und lehrer trug er wesentlich zum erfolg der drei ur-wailers bob marley, peter tosh und bunny wailer bei. fuer jimmy cliff (mit dem er auch zwei duett-singles veroeffentlichte) stellte er eine grossartige, auf dem 1976er live-album 'in concert' zu hoerende begleitband zusammen. und auch zu dem auf jamaika aufgenommenen, ultrararen instrumental-album 'negril' des amerikanischen jazz-gitarristen eric gale leistete higgs wichtige beitraege.



ein letzter wichtiger punkt sind schliesslich joe higgs liedtexte. jenseits aller rastafari-klischees schaffte es der musiker ueber die jahre hinweg immer wieder, beruehrende lyrics zu verfassen, die sich mit den themen armut und menschlichkeit auseinandersetzen. waehrend seine weggefaehrten jimmy cliff, bob marley und peter tosh zu internationalem ruhm und reichtum gelangten, blieb higgs zeit seines lebens ein einfacher mann und starb schliesslich 1999 im alter von 59 jahren an einem krebsleiden in den usa. seinen liedern nach zu urteilen war joe higgs dennoch ein gluecklicher mann: er hatte seine musik, seine (vielkoepfige) familie und seine wuerde.